Michael Ballack, Wunschgerüchte und Hierarchiefreiheit

Bei RB Leipzig wächst die Anzahl der Transfergerüchte derzeit ja indirekt proportional zur Anzahl der Tage, die es noch bis zum Transferschluss Ende August hat. Allein die BILD hat heute wieder drei neue Spieler auf das Karussell geworfen [broken Link]. Namen, die sich täglich ändern können. Was mich persönlich zumindest ein wenig wundert ist die Tatsache, dass Felix Magath permanent zu einem RB-Gerücht gemacht wurde, wenn er nur mal stirnrunzelnd die Brille abgesetzt hat (ist unzufrieden, will weg, geht bestimmt zu einem Verein mit viel Geld), während noch niemand auf die Idee gekommen ist, den nahe liegenden Michael Ballack aufs Karussell zu werfen und damit wenigstens fünf Minuten Internet-Suchmaschinen- und Copy-and-Paste-Ruhm abzufassen.

TweetDeck vor 18 Stunden #Leipzig #RB #Ballack

Mal ehrlich, eigentlich spräche gerüchtemäßig alles für so einen Wechsel. In der Bundesliga wird Ballack beim aktuellen Arbeitgeber demontiert und als Ersatz von Simon Rolfes auf die Bank gesetzt. Haben will ihn jemand anders wohl auch nicht, als zu antiquiert gilt seine Spielweise. Und schließlich ist er ja auch schon altertümliche 34 bzw. bald 35 (!) und damit im neuen Fußballdeutschland fast schon ein Greis. Außer bei Peter Pacult, für den es nur gute oder schlechte Fußballer gibt. Zudem hat Peter Pacult, betrachtet man seine bisherige Kaderzusammenstellung eine ausgesprochene Schwäche für Mittelfeldspieler. Könnte Ballack nebenbei auch innenverteidigen, wäre er eine Optimalbesetzung unter Pacult bei RB Leipzig. Und, nicht zu vergessen: Nach dem Abtreten von Ingo Hertzsch in den fußballerischen Ruhestand des RB-Marketings und der zweiten Mannschaft, ist bei RB die Stelle des In-Chemnitz-mit-dem-Profifußball-begonnen-in-Leipzig-Profikarriere-beenden-Spielers frei. Ballack passt perfekt auf diese Stellenbeschreibung. Und Leader und Osten, da geht doch sowieso immer was.

Eigentlich brauche ich den ganzen Quatsch, der schon deswegen Quatsch ist, weil Ballack selbst in der Endphase seiner Karriere einen Ehrgeiz hat, der nicht kompatibel mit der Regionalliga ist, er mit seinem Alter, wenn irgendwo, dann höchstens bei Felix Magath landet und er mit seinem Gehalt den Etat von RB Leipzig wohl mal eben verdoppeln würde (was selbst bei Red Bull als wenig sinnvolle Investition erscheinen würde, vermute ich zumindest), nur deswegen, um auf – Stichwort Leader – auf einen sehr sachlichen, spannenden und interessanten Artikel bei Spielverlagerung.de hinzuweisen, der sich um das derzeitige Dauerthema des Führungsspielers dreht. These des Beitrags: Flache Hierarchien, Kommunikation und die Verteilung von Verantwortung sind notwendig, um den Anforderungen moderner Spielsysteme zu entsprechen, die Zeiten des Leaders sind aufgrund der Wichtigkeit jedes einzelnen Spielers für das Spielsystem vorbei.

Grundsätzlich feststellen kann man, dass die moderne Welt viel mehr noch als die ein paar Jahre und mehr ältere, frühere Welt kommunikative und kooperative Muster der Problemlösung und Arbeit im Team gewinnbringend einsetzt, dass gerade die Medienmoderne diese auch quer durch den Alltag popularisiert hat. Die Einbindung der Fähigkeiten aller Beteiligten folgt dem Wunsch das Team als ganzes noch besser zu machen. Was in der freien Wirtschaft direkten Einfluss auf die Leistungsfähigkeit der Firma als Team hat, hilft natürlich auch im Sportkontext und somit im Fußball.

Manchmal beschleicht einen aber dabei das Gefühl, als versuchte man mit dem Begriff der flachen Hierarchie als ideologischem Schnickschnack den ja weiterhin vorhandenen Kern der individuellen Konkurrenz schlicht und einfach schick zu verschleiern. Jede kleine Kommunikations-Klitsche, jeder moderne Betrieb investiert heutzutage nicht unwesentliche Teile seines Budgets in Programme, die die Firma als Familie in den Mittelpunkt stellen, die Gemeinschaftsgfühl und somit Verantwortungsgefühl bei Leuten generieren sollen, die ihre Firma aus berechtigten Gründen eben nicht unbedingt als Familie, sondern als simplen Mittel zum Alltagszweck empfinden, für die die Firma also Mittel zum Zweck der Bedürfnisbefriedigung und nicht Bedürfnisbefriedigung selbst ist. Das können 5,50 Euro in der Stunde als Verdienst für Redaktionstätigkeiten genauso sein, wie die Tatsache, dass Hierarchiefreiheit nun tatsächlich nicht das Standardkriterium bei der finalen Entscheidung über Firmenstrategien ist. Oder anders gesagt, flache Hierarchien und die Firmenfamilie sind kommunikative Erfindungen, mit denen die Mitarbeitermotivation hoch gehalten werden soll, auch wenn die Mitarbeiter defacto das Gefühl haben, höchstens an den Enden mitzurudern.

Etwas ähnliches, so scheint mir, passiert beim Propagieren der flachen Hierarchien im Fußball auch. Da hat man ein komplexes Mannschaftsgefüge mit mehr als 20 Spielern und diversen Betreuern. Man hat eine intensive Konkurrenzsituation zwischen den Spielern. Der noch durch permanenten Erfolgsdruck aufgeladen wird. In dieser Situation, die per se eine ist, in der ungleiche Kämpfe mit Ellenbogen ausgefochten werden, ist der Begriff der flachen Hierarchie ein Kampfbegriff, der die Einordnung des Einzelnen (bzw. des Schwächeren) und die Anerkennung des Kollektivs fordert, selbst wenn dies dem Einzelnen zum Nachteil wird. Wir sind alle eine Familie und wehe Du scherst als Nummer 18 aus dieser Familie aus.

Der negative Inbegriff dessen, wie flache Hierarchien praktisch angewendet werden, ist für mich Philipp Lahm, der es tatsächlich schafft, auf loyalen Schwiegermutti-Typ zu machen, während er im Hintergrund netzwerkt und ausbootet, bis er seine Kontrahenten im Schach hat. Ist das geschafft, beginnt das öffentliche Nachtreten, am besten via dem Lahmschen Verlautbarungsorgan BILD, respektive Sport BILD. Dann trifft es in wahlloser Reihe Ballack, van Bommel, Klinsmann, van Gaal und wer ihm gerade so über den Weg läuft. Philipp Lahm erscheint als negativer Inbegriff dessen, dass flache Hierarchien zu großen Teilen Lug und Trug sind, die Konflikte und Interessensunterschiede im Dienste der Gruppe verschleiern sollen, anstatt sie auszuhalten, auszukämpfen und so in einen stabilen Teamzustand zu kommen.

Keine Ahnung, ob diese flache Organisationsform letztlich erfolgreicher ist, als die steile Hierarchie, was wohl das einzige Kriterium sein dürfte, um sie anzuwenden oder eben nicht. Das Kahnsche Beschweren darüber, dass man Führungsspieler brauche, um Titel zu gewinnen, ist tatsächlich nicht viel anderes als (falsche) Selbstbeweihräucherung, wie auf Spielverlagerung.de richtigerweise festgestellt wurde, weil der Leader früher genausowenig Erfolgsgarant war, wie er heute wäre. Trotzdem ist mir das Prinzip der Unterordnung unter das Team, das zumindest ich im Prinzip der flachen Hierarchien als einem wirtschaftsideologischem zu erkennen glaube, als Menschenbild ziemlich unangenehm. Die deutsche Jugendausbildung, die darauf hinausläuft, dass Spieler, die zu viele individuelle Marotten leben, es beim DFB schwer haben, erschafft sich Generation von Weichspülprofis, deren aussagekräftigste öffentliche Kommentare gelegentliche Mitteilungen über den aktuellen Musikgeschmack sind. Oliver Kahn mag mit seinen Attacken falsch gelegen haben, aber er spricht Themen an, die ihn bewegen und er steht dazu. Er macht sich als Mensch angreifbar und erlaubt eine Meinungsbildung zum Thema. Die mag in ihrer inhaltlichen Ausprägung oft zweifelhaft sein, aber diskursive Reibung ist nun tatsächlich nichts, was einer demokratischen Gesellschaft schaden dürfte.

Vielleicht ist das alles nicht allzu weit von dem entfernt, was bei Spielverlagerung.de mit der Forderung nach “mündigen Profis” gemeint ist. Vielleicht ist nur einfach der Begriff des Führungsspielers einer mit derart vielen Bedeutungskonnotationen, dass jeder etwas anderes meint, wenn er drüber spricht. Ich nehme die Forderung nach Mündigkeit jedenfalls nicht als Forderung nach individueller Reife und Stärke wahr, sondern als Aufforderung zur Einordnung und zum sportlichen Verantwortungtragen und sonstigem Klappehalten. Was wie gesagt eventuell gut für das Team sein kann, aber nicht mein Menschen- und Weltbild ist.

Dazu passt als abschließende Randnotiz noch die Erwiderung zu einer weiteren These des Spielverlagerungs-Beitrags:

Der Fußball ist auch immer ein Abbild der Gesellschaft und so wurde das hierarchische Denken, das lange Zeit Teil des deutschen Wesens war, in die Fußballkultur übertragen.

Meine Gegenthese wäre, dass das deutsche Wesen, wenn man denn ein solches konstruieren will, immer eher auf Gemeinschaft und Unterordnung abzielte und man in Deutschland mit der flachen Hierarchie eigentlich streng genommen zu sich selbst findet. Das ganze aufgeladen mit dem, was man auch dem deutsche Wesen zuschreiben könnte, nämlich die Forderung in einer Welt voller individueller und kollektiver Interessen möglichst interessefrei (sachorientiert nennt sich das wohl) zu agieren und man landet bei einer wenig wohl schmeckenden Soße. Die man ob ihrer möglicherweise (weil schwer nachweisbar) höheren Leistungsfähigkeit propagieren, die man aber trotzdem aufgrund der sonstigen Konsequenzen unsympathisch und kontraproduktiv finden kann.

8 Gedanken zu „Michael Ballack, Wunschgerüchte und Hierarchiefreiheit“

  1. Wenn Ballack kommen würde, hätte die Marketingabteilung gut zu tun – ein Beckham kam auch nicht nur wegen seiner Fußballkunst nach Madrid.

    Nur:
    a) wäre solch ein Hype eine ganze Saison machbar? Ich glaube nein
    b) Leipzig und wirklich gutes Marketing, ich bin mir nicht sicher ob RedBull da die wirklich richtige Wahl getroffen hat. ;-)

  2. Ich trau dem Wort flache Hierarchien nicht über den Weg. Mit Lahm hast Du ein prägnantes Beispiel genannt. Die von Dir angesprochene ideologische als Scheinbild offerierte Familie im Betrieb ist da ebenfalls so ein Potemkinsches Dorf. Familie ist meine Liebste, Meine Schwestern, Vater, Mutter, Onkel, Tante, Cousine. Ein Konzern, ein Verlag, ein Mittelständisches Unternehmen mit 25 Mann können nie Familie sein. Da können noch soviel Imagekampagnen gefahren werden. Selbiges gilt für eine Nationalmannschaft. Die Truppe um Übungsleiter Löw ist keine Familie. Sie hat auch keine flachen Hierarchien. Es gibt den Chef. Joachim Löw. Es gibt den machtbewussten Manager. Oliver Bierhoff. Es gibt einen Präsidenten mit zahlreichen öffentlichen Auftritten. Dr. Theo Zwanziger. Es gibt einen Einfluss der investierenden Sponsoren auf PR-Auftritte der Mannschaft, auf Anstosszeiten, auf Interviews auf die Gestaltung des Programmheftes bei Länderspielen etc.

    Da Ballack immer wieder thematisiert wird. Auch ein paar Worte von mir. Aufhören zur rechten Zeit schaffen wenige berühmte Sportler. Auch der eine oder andere Comeback Versuch von Boxern oder ehemaligen Formel 1 Serienweltmeistern werfen oft einen Schatten auf eine glanzvolle Laufbahn. Ballack fehlt ein großer Titel. Schreibt die Zeitung mit den großen Buchstaben. Sie schreibt und schrieb es für mich immer einen Tick zu oft. Ballack hat eine sehr gute und erfolgreiche Laufbahn hingelegt. Er ist jetzt allerdings in der Defensive. Ein Wechsel zu RB Leipzig hätte Charme. Ein Abschied nach Ende dieser Saison Stil. Er ist intelligent. Materiell gut ausgestattet, hat unzählige Möglichkeiten im Fußballbusiness zu arbeiten. Ein ausklingen in der Regionalliga oder 3. Liga (für mich spielt RB ja nächstes Jahr in der Liga mit öffentlich-rechtlicher Fernsehzeit im Umfeld der Sportschau) ist vielleicht nicht die beste Option für beide Seiten.

  3. Sehr gute Expertise zum Thema flache Hierarchien – trifft genau den Punkt und ich denke da genauso wie du – dieses künstliche und nichtssagende Gebilde der flachen Hierarchien zieht sich durch die gesamte Gesellschafft – alle die auch eine eigene Meinung haben und diese auch äußern werden aussortiert – man könnte sogar sagen das durch diese Aussortierung eine Art Geichschaltung erzwungen wird wo alle nur abnicken und ja sagen…alle die sich dem nichtunterordnen werden aussortiert und gebranntmarkt als Unruhestifter.

    ich finde auch das dies hier im Besonderen sportlichen Sinne kein Lösung ist da eben alle Member dieses Teams immer Profil und gesichtloser oder besser austauschbar werden.

    Naja das Thema Ballack zu RB ist denke ich mal kein Thema obwohl es mit Sicherheit für Schlagzeilen sorgen würde :D aber hey der Peter hat ja nen Faible für Defensive Mittelfeldspieler von daher nichts ist unmöglich ;)

  4. Man stelle sich das vor…Ballack spielt wieder im DFB Pokal mit RB,…einfach mal auf der Zunge zergehen lassen…

    99% unmöglich, aber einer der teuersten, aber wahrscheinlich erfolgreichsten Marketing Coups der Welt. Aber für so einen Irrsinn a La Mateschitz, ist 2013 ( in der 3. oder 2. Liga immer noch Zeit. Seriösität an.

    Egal solche Träumereien hab ich lange vermisst in good Ole LE

  5. Zum Thema flache Hierarchien habe ich die These das das nur falsch formuliert ist. Man will von oben nach unten sortieren wie es der sportinsider erklärt hat. Sozusagen abflachende Gerade. Imho die richtige Variante, man sieht ja was ehemalige Tiger, Leitwölfe etc. auf die Reihe bringen. Einfach mal die letzten Weltmeister von 90 durchgehen :)

    “Und mal ehrlich, eigentlich spräche gerüchtemäßig alles für so einen Wechsel. In der Bundesliga wird Ballack beim aktuellen Arbeitgeber demontiert und als Ersatz von Simon Rolfes auf die Bank gesetzt. ”
    Ich habe da eine andere Sichtweise: Ballack ist einfach zu festgelegt auf seine Position, woanders kann man ihn nicht einsetzen und selbst bei RB könnte es da für ihn eng werden.

  6. @interpreter: Wobei das bei Ballck witzig ist, denn er war ja früher in Leverkusen oder bei Bayern kein Sechser (gab es die damals noch nicht?), ganz im Gegenteil. Aber als Offensivgeist mag man ihn sich erst recht nicht mehr vorstellen. Als ich RB und Ballack in seiner Fiktion im Kopf hatte, habe ich auch gleich an die fiktive Option gedacht, dass er auch hier auf der fiktiven Bank landen könnte..

    [Hab ich schon mal erwähnt, dass das Thema Ballack und RB pure Fiktion ist?]

  7. Sagen wir mal so: in der guten alten Zeit würde Ballack wrsl. als Libero noch 2-3 Saisons gute Leistungen bringen und hätte sogar Führungsspielerstatus :-)

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