Ein großartiges Spiel zur Unzeit

Irgendwie fühlt sich das alles noch höchst irrational an, dieses selbsternannte Spiel des Jahres, zu dem alle ähnlichkeitsbasierten Vergleiche mit Bezugnahmen auf Trainer, Tiere und warenproduzierende Großkonzerne schon gemacht wurden. Für mich kommt dieses Spiel jedenfalls als Sporthighlight dermaßen aus der Kalten, dass es mir erheblich schwer fällt, eine angemessene emotionale Grundhaltung zu diesem Spiel zu entwickeln.

Es mag ja auch nicht sehr verwundern, dass angesichts der Tatsache, dass dies in der jüngeren Vergangenheit das erste Pflichtspiel einer Leipziger Clubmannschaft gegen einen Bundesligisten ist (zumindest solange ich als Zehn-Jahres-Leipziger und manch anderer denken kann), sich so ein wenig Orientierungslosigkeit einstellt. Die sich beispielsweise darin ausdrückte, dass ich mich renitent weigerte, mir Karten im Vorverkauf zu holen. Man kennt das ja eigentlich mit der riesigen Red Bull Arena. Dass man auch in Spitzenspielen noch locker an die Abendkasse schlendern kann. Gestern dann habe ich meine Lethargie durchbrochen und mich doch noch dem Vorverkauf gewidmet. Glücklicherweise, denn ein paar Stunden später war mein Lieblingsbereich im Unterrang Block C ausverkauft.

Was mich alles in allem doch arg wundert. Heute bei der Pressekonferenz [broken Link] sprach man bei RB Leipzig von 18.000 verkauften Karten und zwei ausverkauften Unterrängen (A + C) und einem fast ausverkauftem Fanblock (B). (Über den Gästeblock brauchen wir nicht reden, da der vermutlich eh extra gezählt und mit seinen reichlich 4.000 (4.500?) Plätzen eh nicht ausverkauft sein wird.) Soweit ich weiß, passen in die drei Heimbereiche insgesamt reichlich 25.000 Zuschauer. Die Differenz zu 18.000 wächst sogar noch dadurch, dass in den 18.000 auch bereits Besitzer von Karten für den Oberrang in Block A mit enthalten sein dürften.

Die widersprüchlichen Zahlen dürften sich dadurch erklären, dass die Karten von Anfang an mit freier Platzwahl verkauft wurden. Weil man vielleicht nicht mit einem Andrang jenseit der 20.000 rechnete. Wozu die freie Platzwahl führt, die im normalen Ligabetrieb, wo man vor lauter Stuhlangebot nie weiß, wo man sich hinsetzen soll, absolut Sinn macht, hat man bereits im Sachsen-Pokal-Finale gegen den Chemnitzer FC gesehen, als in Block A mindestens jeder fünfte Sitz leer blieb (da die Leute Luft ließen zum Nachbarn), aber trotzdem der Oberrang geöffnet wurde, weil es zu eng wurde. Von daher wurden für das Spiel von RB Leipzig gegen Wolfsburg vermutlich von Anfang an nur maximal 80% der jeweiligen Blockvolumina in den Verkauf gebracht. Was die Stadionkapaziät im Heimbereich mal so eben auf insgesamt etwa 32.000 Zuschauer begrenzen würde. Die aber trotzdem locker ausreichen dürften. Ich bleibe bei meinen 25.000 Zuschauern, die ich bereits nach der Auslosung des Spiels RB Leipzig gegen Wolfsburg vor etwa sechs Wochen als Zuschauerzahl geschätzt hatte.

Jenseits des Karten-Geplänkels und des Vereins-Wedelns mit dem Ausverkauft-Schild kommt das Spiel nicht nur in seiner emotionalen Hinführung zu früh, sondern auch sportlich. Peter Pacult hat dankenswerterweise noch mal darauf hingewiesen [broken Link], dass das Spiel von RB Leipzig gegen den VfL Wolfsburg genaugenommen noch zur Saison-Vorbereitung zählt. Was auch Sinn macht, bedenkt man, dass die Vorbereitung auf die neue Saison gerade mal vor 4 Wochen begonnen hat. Gut, bevor jemand meint, dass ich schwindle, lege ich die halbe Woche Rest auch noch drauf. Trotzdem viel zu wenig, um sowohl spielerisch, als auch körperlich schon bei 100% oder auch nur in deren Nähe zu sein.

Zumal in der Startelf gleich sieben neue Spieler stehen werden. Nimmt man Timo Rost noch dazu, der ja in der Rückrunde der vergangenen Saison praktisch nicht mehr spielte, dann hat man bis auf Fabian Franke, Thiago Rockenbach und Daniel Frahn eine komplett neue Formation, die sich in ihren Bewegungsabläufen und Automatismen erst noch finden muss. Das mag gegen einen Bundesligisten offensiv noch nicht ganz so schwerwiegend sein, weil man das Spiel nicht machen muss. Für die defensive Abstimmung, die in den Testspielen noch nicht immer überragend war, ist es hingegen gerade gegen einen individuell starken Bundesligisten ein ordentliches Problem. Das einzige, was nicht gegen RB Leipzig spricht, ist die Tatsache, dass Wolfsburg vorbereitunsgtechnisch mit erneuertem Kader und schweren Beinen auch nicht weiter sein dürfte als der Viertligisten-Kontrahent.

Das Spiel ist sportlich (nimmt man eine optimale Vorbereitung als Zielmarke) ein Spiel zur Unzeit, da RB Leipzig defacto nicht an einem Punkt ist, wo sie sich auf irgendeiner Ebene einen Vorteil gegenüber dem Bundesligisten erarbeitet hätten. In der Vergangenheit waren die unterklassigen Mannschaften oft vor den Bundesligisten in die Saison gestartet, was ihnen einen elementaren Vorsprung in Bezug auf die Spielpraxis gab. Das fällt bei RB Leipzig weg und so bleibt ausschließlich das Prinzip Hoffnung auf die Rolle des Underdogs und auf ein Spiel, das eventuell auch mit der Unterstützung des Publikums eine Eigendynamik kriegt, die den Logiken des Sports widerspricht.

Überhaupt wird es interessant sein, wie die Zuschauer (egal ob 25.000 oder 30.000) in dieses Spiel hineinwachsen. Man darf ja ehrlich zugeben, dass über die Sommerpause die Fanbasis von RB Leipzig nicht plötzlich auf 30.000 Zuschauer angewachsen ist. Ein hoher Anteil der Zuschauer werden Leipziger oder Umland-Fußballinteressierte sein, die es sich nicht entgehenlassen wollen, wenn in Leipzig mal wieder ein Pflichtspiel gegen ein hochklassiges Team stattfindet. Zuschauer, bei denen man nun gar nicht weiß, wie begeisterungsfähig sie sind. Masse ist da nicht unbedingt gleich Klasse. Was gar nicht dissig gemeint ist gegenüber denen, die eher als Beobachter kommen, sondern nur der Frage folgt, inwieweit das Publikum ein Faktor werden kann, der RB Leipzig in diesem Spiel hilft.

Dazu kommt die aus meiner Sicht offene Frage, was über die Sommerpause mit der Kurve als Stimmungsvorreiter geworden ist. Die diversen Turbulenzen im Verein und die dabei abstrahlende Kälte der Entscheidungsträger kamen gerade bei den engagierteren der Zuschauer vermutlich nicht übermäßig gut an. Inwieweit der Kern der Supporter qualitativ und quantitativ derselbe ist wie in der vergangenen Saison, wird man erst abwarten müssen. Fehlen die, die den Funken zünden, könnte es auch insgesamt sehr ruhig werden im Stadion.

Es ist also sportlich und zuschauertechnisch ein Spiel mit vielen Fragen und vielen Unsicherheiten. Und irgendwie geht es mir wie Peter Pacult und ich fühle mich in Bezug auf den Pokal-Ausritt ganz ruhig, weil ich mich nur auf das Spiel freue. Weil das Spiel genaugenommen absolut jenseits des sportlichen Ernstes der Saison steht. Denke ich an die Saison und an Highlights, dann denke ich nie an Wolfsburg, sondern eher an einen dreckigen 1:0-Sieg in der Schlussphase in Meppen, an viele Heimspiele in unterschiedlichen Spiel- und Emotionsverläufen und natürlich an den Aufstieg.

Das Spiel gegen Wolfsburg ist dagegen wie ein surreales Erlebnis aus einer anderen Welt, ein Erlebnis, das aus dem Nichts des Viertligafußballs mit 2.000 Besuchern in einer 44.000-Zuschauer-Arena plötzlich für einen Tag so etwas wie Ansätze von Bundesliga nach Leipzig bringt. Was man schon in der Vorberichterstattung und den Unmengen an wiedergekäuten und neu aufgelegten, nichtssagenden Artikeln zu RB Leipzig im Netz sieht. Was man auch in einer für RB völlig außergewöhnlichen Zuschauerzahl sehen wird. Denke ich an das morgige Spiel gegen den VfL Wolfsburg, dann sehe ich mich als interessiert-wohlwollenden Beobachter, der am Gucken, Staunen und Aufsaugen ist. Gucken, wie sich das anfühlt in einer vollen Red Bull Arena. Ob der Modus in ein pflichtspieltypisches Mitfiebern umschlägt, gehört auch zu den offenen Fragen des morgigen Tages, die aber nur für mich interessant sein dürfte.

Man kann es letztlich drehen und wenden wie man will. Das Spiel ist sportlich eines, was zur Unzeit kommt (was die Erfolgschancen nicht gerade vergrößert). Im Sinne des persönlichen Zugangs zum Spiel ist es zudem gewöhnungsbedürftig, dass es keine sportliche Vorgeschichte gibt, die zu diesem Highlight hinführen würde. Und trotzdem freue ich mich auf Flutlicht, Bundesliga, Wolfsburg, Magath, viele Zuschauer und all das ganze drumherum, was großartig sein wird und weswegen ich wohl sehr viel eher im Stadion sein werde als sonst. Und ansonsten verweise ich auf das, was schon vor sechs Wochen hier stand und weiterhin umfänglich gültig ist:

Auf jeden Fall – so glaube ich – wird man sich in einem Spiel gegen neuformierte Wolfsburger nicht abschießen lassen. Trotzdem dürfte die sportliche Qualität der Magath-Elf absolut ausreichen, um einen Sieg aus Leipzig mitzunehmen. Was ich persönlich gar nicht extrem schlimm fände. Ein kämpferisches 1:2 nach 0:2-Rückstand. 25.000 Zuschauer, die vom Saisoneröffnungs-Event begeistert sind. Spieler, die nicht die Köpfe hängen lassen, aber auch nicht abheben. Ein schöner, aber erfolgloser Auftakt in eine Saison, die dann eben mit noch größerem Erfolgshunger angegangen und mit dem Aufstieg und dem Landespokal-Sieg gekrönt wird. Was sowieso viel wichtiger ist, als der Pokalauftakt eine Woche vor dem Beginn der Regionalliga-Saison. (DFB-Pokal: RB Leipzig gegen VfL Wolfsburg)

Die Saison darf beginnen. Auch jetzt schon, eine Woche vor der Regionalliga.

Ein Gedanke zu „Ein großartiges Spiel zur Unzeit“

  1. Ähm, welche Spiele kommen als unterklassiger Verein denn nicht zur sportlichen Unzeit ;) Wenn man die Highlights zum Saisonabschluss haben möchte, dann muss man sich eben durch den Pokal durchbeissen. Der letzt Satz ist mal ein Vorgriff auf Waldis Bayerischen Bahnhof.
    Das Verhalten der Zuschauer dürfte interessant werden – auch ohne Sieg könnten bei ordentlicher Leistung genug “Noch-Eventis” für die nächsten Spiele abgeholt werden. Andererseits würde es bei einem frühen 0:3 viele sachliche Kommentare hageln :D
    Ich werde es zu 99% nicht schaffen zu kommen, falls doch gibt es einen Augenzeugenbericht eines Tageskassenkäufers :)

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