Peter Pacult und die Reisenden

Mir gefällt an Peter Pacult, dass er jemand ist, der eine Meinung hat und die auch vertritt. Auch in der Öffentlichkeit. Das macht ihn zwar angreifbar, kann aber sympathischerweise auch dazu führen, dass es was zu diskutieren gibt. Man also an Inhalten dran bleiben und sich und seine Meinung weiterentwickeln kann. Wird Pacult nicht demnächst von der Kommunikationsabteilung bei RB/ Red Bull zurückgepfiffen, dann wird das eine verbal höchst unterhaltsame und anregende Saison. Gestern jedenfalls veröffentlichten die Salzburger Nachrichten ein Interview mit dem RB-Chefcoach Peter Pacult [broken Link] mit einigen recht interessanten Meinungen und Details (man kann das folgende auch gut als Ergänzung zum gestrigen Beitrag “Mittelfristige Vereinsphilosophien” lesen):

Sie werden  als „Alleinherscher” in Leipzig bezeichnet, weil es seit Ihrer Bestellung in der Clubführung viele Wechsel gab.
Einige Leute sind ja freiwillig gegangen, wie Sportdirektor Thomas Linke oder Geschäftsführer Dieter Gudel. Reisende soll man ja bekanntlich nicht aufhalten.

Das leicht hämisch wirkende “Reisende soll man nicht aufhalten” finde ich ehrlich gesagt über das Ziel hinaus geschossen. Sportdirektor Thomas Linke ging, weil er als Sportdirektor zumindest die Mitverantwortung über die Auswahl des Trainers haben wollte, sie aber offenbar nicht eingeräumt bekam. Und Geschäftsführer Dieter Gudel ging, weil in seiner Abwesenheit über seinen Kopf hinweg ein Sportdirektor verpflichtet wurde. Beide waren keinesfalls freiwillig Reisende. Formal vielleicht, defacto nicht. Was auch Peter Pacult vermutlich weiß, weswegen sein Hinterherwinken eher als Nachtreten erscheint und jedenfalls weit von der Position bei seiner Vorstellung als Cheftrainer entfernt ist, dass er zur Vergangenheit nichts sagen möchte, weil er es auch gar nicht könne.

In Leipzig lautet der Tenor der Fußballfans:  „Entschieden wird ohnedies alles in Salzburg.”
Es gibt auch einen Herrn Hopp in Hoffenheim, es gibt Volkswagen in Wolfsburg, es gibt Bayer in Leverkusen. Überall wird am Ende ein Einzelner entscheiden. So auch bei Red Bull. Ich wehre mich dagegen, dass man das nur bei Red Bull und Herrn Mateschitz immer negativ auslegt.
Also gibt es einen kurzen Draht nach Salzburg?
Es gibt einen sehr kurzen Draht.

Das ist kommunikativ ziemlich starker Tobak und enthält ein paar falsche Annahmen. Bisher war die Kommunikationslinie bei RB Leipzig, die sich an den deutschen 50+1-Gepflogenheiten und an deren formaler Akzeptanz orientierte folgende: Wir sind Teil eines globalen Netzwerkes Red Bull, auf das wir gerne bei fachlichen Fragen und Problemen zugreifen. Trotzdem entscheiden wir selbst.

Dass Peter Pacult RB Leipzig mit Wolfsburg und Leverkusen vergleicht, mag zwar defacto richtig sein, ist aber ein offener Bruch mit der bisherigen Kommunikationslinie und – nimmt man das Ernst – mit dem formalen Umgang mit 50+1. RB Leipzig ist eben nicht (falsche Annahme Pacult) der VfL Wolfsburg und Bayer Leverkusen, die sich aufgrund entsprechender DFB-Ausnahmebestimmungen einen 100%igen Einfluss der Konzernmütter auf die sportlichen Entscheidungen der Vereine gesichert haben. Und eben deswegen verstieße RB Leipzig gegen die (immer noch existierende) 50+1-Regel, würde man formal genauso agieren, wie Bayer oder VW.

Die Entscheidungen werden in Deutschland, das ist die in Österreich vielleicht etwas schräg klingende Regel, in und von den Vereinen getroffen. Die dürfen dafür gerne die Hilfe von Fachkräften, Sponsoren und Beratern nutzen, aber diese nicht entscheiden lassen. Man sollte diesen Weg in der Kommunikation rund um RB Leipzig zumindest betonen. Außer man will doch noch mal irgendwann Ärger mit jemandem, der Red Bull auf der Basis von 50+1 ans Bein p… möchte. Oder man ist sich sicher, dass man einen eventuellen (auch juristischen) Streit um 50+1 gewinnen würde und deshalb eh alles egal ist. Ich persönlich vermute, dass Peter Pacult einfach redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist und er sich deswegen wundert, was am allein entscheidenden (weil auch Geld gebenden) Dietrich Mateschitz und einem sehr kurzen Draht zu ihm, vergleicht man das mit dem Rest der Welt, so spannendes sein soll.

Vielleicht trifft am ehesten noch Pacults Vergleich von RB Leipzig und Hoffenheim. Und gerade weil der passt, kann man sich noch mal vergegenwärtigen, wie groß die öffentliche Aufregung war, als Dietmar Hopp am Gustavo-Transfer nach München in verhandelnder Position (?) beteiligt war. In Hoffenheim gibt man sich zumindest Mühe, zwar zu Hopp als starkem, auch beratendem Mann zu stehen, aber trotzdem eine strukturelle Unabhängigkeit zu kommunizieren. Wie groß die auch ist und wie albern man es finden mag, formalen Kriterien zu entsprechen, die im Arbeitsalltag auch bei anderen Vereinen gar keine so große Rolle spielen. Ich habe ein wenig das Gefühl, dass mit der Ablösung von Dieter Gudel und auch Enrico Bach auch diejenigen abtraten, die ein feines Gespür dafür hatten, inwieweit man sich in der Kommunikation der 50+1-Regel beugen sollte und inwieweit sich daraus sogar so etwas wie eine partielle, identitäre Eigenständigkeit gewinnen ließe. Ich vermute, man sollte versuche, dieses kommunikative Feingefühl zurückzugewinnen.

Wo ist RB Leipzig schon erstligareif?
Bei der  Infrastruktur. Wir haben mit der Red-Bull-Arena ein wunderschönes Stadion, und   ein sensationelles Trainingsgelände wird gerade gebaut. Es heißt immer: „Red Bull schmeißt mit Geld um sich.” Wahr ist, dass endlich etwas in dieser Region passiert. Alle anderen Vereine dort hätten die Möglichkeit auch gehabt, investiert haben sie aber immer nur kurzfristig in teure Spieler anstatt nachhaltig ins Umfeld des Clubs.

Peter Pacult hat grundsätzlich Recht. Dass Red Bull in die Infrastruktur investiert und einen umfangreichen Nachwuchsbereich aufbaut, ist eine Top-Investition in die Zukunft. Eine strategische Entscheidung, die Sinn macht und die dazu noch nicht einmal aus städtischen Geldern finanziert werden muss. Und tatsächlich mag das im Widerspruch zum bisherigen Weg der Leipziger Vereine stehen, die diese mittelfristigen Strategien kaum hatten. Andererseits darf man hier auch mal wieder das fehlende Kleingeld anbringen. Der FC Sachsen Leipzig ist unter anderem auch daran gescheitert, dass er das teure Nachwuchsleistungszentrum (mit-)finanzieren musste, ohne dies defacto zu können. Bei Red Bull sind Anschubfinanzierungen (auch mit langem Atem) kein Problem, anderen Vereinen das wenige Geld vorzuwerfen, ist aber eventuell auch nicht ganz fair. Bei allem, was man an strategisch schlechtem über die anderen Leipziger Vereine sagen kann. Zumal das strategische Arbeiten bei RB Leipzig und bei Red Bull, betrachtet man die letzten zwei Jahre nun auch nicht gerade zielstrebig und zielführend und schon gar nicht ruhig zu nennen ist.

Viele scheuen sich,  in die 4. Liga zu gehen. Es ist ein kampfbetonter Fußball, der hier gespielt wird. Schwierig wird es auch, weil wir in dieser Liga der Gejagte sind.  Die Erwartungshaltung ist groß. Da ist man fußballerisch und auch mental gefordert.

Hier gebe ich Peter Pacult uneingeschränkt recht. Viele Fußballer denken, sie gingen ein oder zwei Etagen runter und es würde einfacher. Dass man die permanente Favoritenrolle erst einmal tragen und damit zurechtkommen muss, dass man entweder das Normale (Aufstieg) erreicht oder völlig versagt, also permanent die Drohkulisse Scheitern schultern muss und dabei immer auf höchst motivierte Gegner trifft, das alles ist für die meisten Spieler, die vorher in ihren Mannschaften fast durchgängig gegen den Abstieg oder im Tabellenmittelfeld spielten eine völlig neue Herausforderung, die sie auch meistern müssen. An der schon ein paar Spieler mehr oder weniger direkt scheitern durften. Früher beim FC Sachsen Leipzig übrigens genauso, wie jetzt bei RB.

Um dies noch mal zu sagen. Ich bin nicht mit allem einverstanden, was Peter Pacult sagt. Ich finde manches zweifelhaft, was im Verein passiert. Und doch habe ich höchsten Respekt davor, dass Peter Pacult als öffentliche Person auch öffentlich für Meinungen und Überzeugungen steht und eintritt. Man findet dies in der modernen Fußball-Welt nur höchst selten. Und im Vergleich zur vergangenen Saison ist dies schon mal eine sehr angenehme Entwicklung rund um den Leipziger RasenBallsport, formal noch mehr als inhaltlich.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert