Unkooperatives

Kaum war sie da, liegt sie schon wieder auf Eis, die Kooperation zwischen den Antipoden RasenBallsport und Lok Leipzig. Zumindest bis zur nächsten Mitgliederversammlung bei Lok, die – so ihr nicht noch eine außerordentliche dieser Art zuvor kommt – im Februar stattfinden wird und auf der die Mitglieder selbst über den ihnen bis dahin vorliegenden Vertrag abstimmen dürfen.

Man muss sich schon ein wenig wundern, dass Lok-Chef Steffen Kubald offenbar nicht mit einer derart emotionalen Reaktion auf die von ihm unterzeichnete Kooperationsvereinbarung für den Nachwuchsbereich gerechnet hatte. Ganz rational hatte er aufbauend auf den Prämissen, dass Lok weiter Nachwuchsarbeit leisten will und RB in diesem Segment und dem Segment darüber perspektivisch die Nummer 1 in der Region sein wird, angenommen, dass eine Vereinbarung, die versucht, ein wenig vom RB-Windschatten zu erhaschen und das beste aus der Situation zu machen, absolut im Sinne des eigenen Vereins sein sollte. Selbst, wenn der Partner RasenBallsport Leipzig heißt und beim Lager blau-gelb unterirdische Beliebtheitswerte genießt.

Nun, das war offenbar falsch gedacht, wenn man den öffentlichen Wirbelsturm als Maßstab nimmt, der um die Kooperation tobt. Ein Wirbelsturm, der noch einmal neu angefacht wurde durch die Veröffentlichung der Kooperationsvereinbarung durch die L-IZ [broken Link]. Dummerweise ließen sich die investigativen L-IZer nicht dazu hinreißen, das Papier als Dokumentation ins Netz zu stellen, auch wenn das Papier nach ihrer Meinung “auf eine einzige A4-Seite” passt. So ist man angewiesen auf einen Artikel, der eine durch Zitate angereicherte Meinung enthält, nämlich, dass Lok durch Kubald übern Tisch gezogen wurde. Dabei zeigen die zitierten Passagen eher das, was man vorher bereits vermuten konnte, nämlich, dass eine Vereinbarung getroffen wurde, der nur dann Leben einghaucht wird, wenn die Nachwuchstrainer auf den einzelnen Ebenen tatsächlich zusammen arbeiten und Know-How austauschen (Stichwort Trainingshospitaitonen, regelmäßiger persönlicher Austausch).

Die Vereinbarung ist tatsächlich eine KOOPERATIONSvereinbarung, also zielt auf Zusammenarbeit. Dass Jugendliche die Vereine wechseln, kann man Vereinbarung hin oder her sowieso nicht verhindern, da dies ausschließlich die Eltern und deren Kinder selbst entscheiden. Wenn also die Vereinbarung beinhaltet, dass Lok “Nachwuchsspieler unentgeltlich und ohne Ausbildungsentschädigung an RB” abgibt, dann ist das zwar eine nette Absichtserklärung, die aber nur dann Sinn macht, wenn die Eltern auch tatsächlich mit ihren Kindern zu RB wollen. Und die Frage der Unentgeltlichkeit ist eine relative. Wenn RB pro Jahr 10.000 Euro überweist und im Gegenzug pro Jahr bspw. 4-5 D-Jugendliche den Verein wechseln, dann ist dies, wenn ich dies richtig sehe, mehr Geld als Lok über eine Ausbildungsentschädigung erhalten könnte. Zudem beinhaltet die Vereinbarung (zumindest in der L-IZ-Version) auch den Punkt:

Weiterhin wird vereinbart, dass Nachwuchsspieler, welche aufgrund ihres Alters wenige Spielchancen im eigenen Nachwuchs haben, in den Nachwuchsmannschaften des anderen Vereins zum Einsatz kommen können. Eine Rückdelegation ist zu jedem Zeitpunkt wieder möglich.

Was wiederum zeigt, dass der Kerngedanke der Vereinbarung Zusammenarbeit ist, was das kostenlose Wechseln hin UND zurück beinhaltet. Während RB auch zukünftig in Leipzig eher bei den jüngeren Jahrgängen wildern wird (also C- und vor allem D-Jugend) werden in den höheren Jahrgängen ab der B-Jugend auch vermehrt Nachwuchsspieler aus überregionalen Zusammenhängen bei RasenBallsport Leipzig spielen und so auch Spieler, die den Sprung von der C-Jugend in die B-Jugend nicht schaffen können, den Verein wieder verlassen. Auch davon könnte (oder möchte) Lok profitieren. Die Vereinbarung versucht also unter der Annahme, dass sich die jüngeren, talentierten Nachwuchstalente und deren Eltern für RB entscheiden könnten, die für Lok bestmöglichen Konditionen zum Ausgleich dieses (vermutlich geringen) Aderlasses zu erhalten. Das umfasst eben Geldzahlungen jenseits üblicher Aufwandsentschädigungen und den (kostenfreien) Zugriff auf (wohl eher ältere) Jugendspieler.

Zwei Anmerkungen noch zum Geld: Einerseits ist im Vertrag vorgesehen, dass RasenBallsport Leipzig für Spieler die als Landesauswahlspieler von Lok zu RB wechseln und dort zu DFB-Spielern reifen, bei Einsätzen dieser im DFB-Dress, von den Summen die der DFB an den Verein des Jugendlichen als “Transferzahlung” überweist, ein festgelegter Anteil nach Probstheida geht. Und: dass Lok im Vertrag auf Ausbildungsentschädigungen verzichtet, erscheint auf den ersten Blick absurd. Mit meinem gefährlichen Halbwissen gehe ich aber davon aus, dass die Regularien des DFB in Bezug auf Ausbildungsentschädigungen, also die Regularien, die tatsächlich Geld bringen, erst ab Liga 2 aufwärts gelten (wo RB wohl frühestens in 3 Jahren, also nach Ablauf der Vereinbarung mit Lok landet). Die Regularien für Regionalligisten (maßgebend ist immer die Spielklasse der ersten Männermannschaft) werden offenbar regional verantwortet und sehen im Vergleich zu den DFB-Bestimmungen nur sehr geringe Aufwandsentschädigungen vor (in Hessen zahlt man bspw. für einen D-Jugendlichen ca. 1000 Euro Aufwandsentschädigung). Man möge mich korrigieren, wenn ich in Bezug auf die Regularien falsch liege.

Die Kooperationsvereinbarung macht also unter den Kubaldschen Prämissen sportlich und wirtschaftlich Sinn, zumindest wenn man die kurzen Passagen, die die L-IZ freigibt, als Maßstab nimmt. Dass die Entscheidung darüber trotzdem bei der Mitgliederversammlung von Lok liegt, ist aber mehr als nachvollziehbar. Die Kooperationsvereinbarung ist der letzte Tropfen, der die Zerrissenheit der Loksche öffentlichkeistwirksam hat ausbrechen lassen. Dass die Mitglieder nun selbst bestimmen müssen, wie es mit ihrem Verein weiter geht, ist dabei das beste, was ihnen passieren kann. Und vermutlich geht es dabei um viel mehr als nur um die Kooperationsvereinbarung. Es geht letztlich um das identitätsstiftende Moment, das Lok als Verein bietet. Wofür steht der Verein? Für bestmögliche sportliche Arbeit in allen Bereichen inklusive Nachwuchs und damit auch für das Ausschöpfen aller Mittel (wie die Fraktion Kubald sagen würde)? Oder für einen eigenen blau-gelben Weg (was auch immer das jenseits des Gefühls bedeuten mag), der sich in größtmöglicher Distanz zum als Antiprinzip verstandenen RasenBallsport behauptet und das beste aus den eigenen Möglichkeiten macht, ohne dabei auf Prinzipien zu verzichten, was unter Umständen auch mal ein, zwei Euro kosten könnte (wie die Pro-Traditon-Anti-Kubald-Fraktion sagen würde)? Oder gibt es etwas dazwischen, eine Art sportlich-finanzielle Pragmatik bei gleichzeitiger Möglichkeit der Gesichtswahrung?

Man weiß es nicht. Klar scheint allerdings, dass die Zukunft bei Lok spannnend wird. Dabei geht es gar nicht so sehr um die Kooperationsvereinbarung, sondern vor allem um die Frage des Selbstverständnisses und die Frage wie der zerrissene Verein, der bis zur Entlassung Rainer Lisiewicz’ sportlich nur im Aufwind war und sich seitdem freundlich gesagt in Stagnation übt, sich nach den Ereignissen dieser Tage wieder zu einer größtmöglichen Einheit zusammenrauft. Nach dem angekündigten Rückzug des langjährigen Chefs Steffen Kubald [broken Link] (sauer auf die Kritiker im Verein), der Demission von Teamchef Peter Milkau (sauer auf die Vereinsführung, weil die ihm im Streit mit Trainer Steffens nicht den Rücken stärkte), dem öffentlichkeitswirksamen Rückzugs des Stadionsprechers Mirko Linke (der in Kubald quasi die Reinkarnation Erich Honeckers sah und in der Lok-Führung eine Diktatur erkannte [broken Link]), dem weniger öffentlichkeitswirksamen Rücktritt des Kubald-sympathisierenden Lokruf [broken Link]-Verantwortlichen Rene Gruschka (nach virtuellen Anfeindungen und Drohungen) und den Austritten einiger Vereinsmitglieder (wegen der Kubald-Linie) steht der Verein auf den Ebenen von Führungspersonal und Selbstverständnis vor dem Neuanfang und der kniffligen Frage, wie es mit dem Verein weitergeht, ohne relevante Vereinsflügel zu verprellen.

In diesem Sinne könnte es absurderweise dazu kommen, dass die Abstimmung über die zukünftige Vereinsführung und die zukünftige Vereinslinie zu einer Abstimmung über eine eigentlich für das Vereinswohl nebensächliche Kooperationsvereinbarung wird. Für das Vereinswohl sind tatsächlich mit und ohne Kooperation verschiedene Wege möglich. Nicht zuletzt könnte man in diesem Zusammenhang erwähnen, dass St. Pauli und Union sicher nicht dort stehen, wo sie stehen, weil sie mit dem HSV oder Hertha kooperiert hätten. Von daher kann man natürlich auf eine rational zumindest nicht schlechte Kooperationsvereinbarung auch verzichten und ein eigenständiges Selbstbild stärken. Inwiefern die Vereinspragmatiker diesen Kurs mittragen würden und inwieweit die Fraktion der Idealisten eine pragmatische Vereinsführung weiterhin ertragen könnte, wird sich dabei vermutlich gar nicht so sehr in der Mitgliederversammlung selbst entscheiden, sondern in der alltäglichen Vereinsarbeit in den 1, 2 Jahren danach, in denen sich auch zeigen wird, inwieweit andere Personen tatsächlich in der Lage sind aus dem Kubaldschen Schatten zu treten, sich in der ehrenamtlichen (!) Arbeit den Allerwertesten aufzureißen, es dabei möglichst vielen Mitgliedern und Fans recht zu machen und gleichzeiteitig den Verein sportlich-wirtschaftlich sinnvoll wachsen zu lassen. Gerade für letzteres kann sich Lok einen Mitgliederaderlass eigentlich nicht leisten. Schaffen es die Mitglieder ihren Verein aus der ersten richtigen Krise der Vereinsgeschichte in ruhige Fahrwasser zu lenken, dann hat Lok im Vergleich zum chronisch klammen FC Sachsen weiterhin die besseren sportlichen Perspektiven.  Schaffen sie es nicht, dann könnte es für den Verein zumindest sportlich weiter bergab gehen.

Eigentlich ein schöner Zeitpunkt für die Vereinskrise, in einem Jahr, in dem sportlich nicht mehr viel gehen wird und der Abstieg bei ansatzweise normalem sportlichen Saisonverlauf kein Thema werden wird. Da es im darauffolgenden Jahr umso wichtiger wird, sich für die neue fünfstafflige Regionalliga zu qualifizieren, passt es eigentlich ganz gut, im Übergangsjahr die Weichen zu stellen für einen Neuanfang in der Führungsspitze und Aufbruchstimmung um Umfeld. Mal sehen, was die Lok-Mitglieder aus dem, was alleinig ihr Tanzbereich ist, das Entscheiden über Kooperationsvereinbarungen, Aufsichtsrat, Vereinsidentität und Co, machen werden. Mal sehen, was das wiederum für den Leipziger Fußball bzw. für die Vereinskonstellationen in Leipzig heißen wird.

3 Gedanken zu „Unkooperatives“

  1. Guter Tipp. Steht aber auch nur drin, was hier schon anklang. Ausbildungsentschädigung für einen C- und D-Jugendlichen 500 Euro plus 100 Euro je angefangenem Spieljahr im abgebenden Verein. Macht summa summarum wohl 1000 Euro pro Spieler, wenn man davon ausgeht, dass dieser schon ‘ne Weile beim abgebenden Verein war.

  2. Wir können beruhigen, was die Vollständigkeit der eingebundenen Informationen des Kooperationspapiers angeht – sie sind vollständig. LG Freitag

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