Stühlerücken

Wer prognostiziert hätte, dass die Derby-Niederlage vom Samstag bereits am Sonntag Abend wieder vergessen ist, den hätte man wohl als weltfremd bezeichnet. Doch Red-Bull-Fußballchef Dietmar Beiersdorfer hatte eine Idee, wie das ganze gelingen könnte. Mit Trainer Tino Vogel und Sportlichem Leiter Joachim Krug mussten die letzten zwei der von Anfang an hauptsächlich Verantwortlichen ihren Hut nehmen. Mit 22 Punkten Vorsprung Meister geworden und dann entlassen? Das ist zumindest ungewöhnlich.

Eine der Dinge, die ich großartig finde ist: sich selber zitieren:

Von daher wäre es sogar denkbar, dass Vogel mit Ablauf der diesjährigen Oberliga-Saison ins zweite Glied rückt und z.B. die zweite Mannschaft betreut und für die erste Mannschaft ein Trainer verpflichtet wird, der RasenBallsport Leipzig tatsächlich in den Profifußball führen kann/ darf. (Der richtige Trainer zur richtigen Zeit)

Zwei Dinge führten mich damals zu dieser Aussage. Einerseits die Frage, ob das planlos wirkende Offensiv-System Vogels, das sich mit den Worten Standards, Athletik, Routine beschreiben ließe, für die Regionalliga reichen würde. Und andererseits vor allem die Tatsache, dass Vogels Trainerlizenz nur noch für die Regionalliga reicht. Aus meiner Sicht muss die sportliche Leitung von RB Leipzig immer zwei Jahre im voraus planen, d.h. jetzt schon Strukturen und einen Kader schaffen, der 3.Liga-tauglich wäre. Tino Vogel war schon rein formal kein 3.Liga-Trainer. Von der Seite aus gesehen, wäre er eine potenzielle Baustelle gewesen, die im Laufe der Saison zu einer Großbaustelle hätte werden können. Trainerdiskussionen im März (‘Herr Vogel, wer wird ihr Nachfolger’) braucht wohl niemand. Zudem deuten die Worte Beiersdorfers, der sinngemäß gesagt hat, dass die erfahrenen Profis auch einen professionellen Trainer brauchen, darauf hin, dass das Verhältnis zwischen Trainer und Mannschaft nicht für 100prozentige Leistung sorgen konnte. Vielleicht haben die Altprofis Tino Vogel in seiner bodenständigen Fußballart nicht ganz ernst genommen, denkbar wäre das und denkbar wäre es auch, dass Beiersdorfer davon Wind gekriegt hat. Wissentlich mit mehreren Baustellen auf der Trainerposition (Taktik, Trainerschein, Verhältnis zum Team) in die neue Saison zu gehen, wollte Beiersdorfer wohl nicht.

Auch wenn unklar bleibt, was tatsächlich zur Entlassung Vogels geführt hat, erscheint es aus sportlich-rationaler Vereinsperspektive völlig nachvollziehbar, eine derartige Trennung zu einem Zeitpunkt relativer Ruhe und Neuorientierung durchzuführen. Andererseits hätte man dann diese Entscheidung auch schon vor einem Monat treffen können als die Saison sportlich gelaufen war und hätte jetzt Personal, das sich in die Kaderplanungen einbringen könnte. Eine Situation, in der man ohne Cheftrainer und sportlichem Leiter Spieler verpflichtet, erscheint suboptimal. Die eine oder andere Neuverpflichtung kann sich zumindest schon mal überlegen, welche Rolle er in den taktischen Planungen des neuen Trainers spielen wird. Womit wir bei der Frage wären, wer denn nun eigentlich das Ruder übernimmt? Eine eigentlich nicht zu beantwortende Frage, aber ein paar Namen in den Raum zu werfen, sei mir an dieser Stelle vergönnt: Heiko Weber und Uwe Rösler hatten sich ja quasi selbst ins Gespräch gebracht, mit Ulf Kirsten und Ralf Minge hatte der damalige Präsi Sadlo vor einem Jahr schon mal Gespräche (wobei die beiden wohl vermutlich nicht vom DFB und von Bayer Leverkusen loszueisen wären) und beim DFB hat gerade der U17-Weltmeister-Trainer Marco Pezzaiuoli seinen Vertrag aufgelöst, weil er im Vereinsfußball arbeiten will. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass es jemand ganz anderes wird, ist sehr hoch. Tino Vogel muss sich währenddessen überlegen, ob er bei RasenBallsport Leipzig ins zweite Glied rücken möchte, sprich einen Posten im Nachwuchsbereich (z.B. als Trainer der U23) annimmt. Und er muss sich aus diesem Grund fragen, ob er die (sportliche und menschliche) Enttäuschung über die Entlassung wegstecken kann und ob er in der Nachwuchsarbeit überhaupt seine Kompetenzen sieht.

Neben dem Trainer traf es und das ist die eigentliche Überraschung des gestrigen Tages auch den sportlichen Leiter. Nach Aussage Beiersdorfers waren sie unterschiedlicher Ansicht über die weitere Ausrichtung von RasenBallsport Leipzig. Ich persönlich wusste schon beim Ex-Präsi Sadlo nicht, was das konkret bedeutet, von daher bleibt alles, was man zu diesem Thema schreibt, höchst spekulativ. Zwei Dinge fallen mir dazu trotzdem ein: Joachim Krug sprach in den letzten Wochen auf Nachfrage immer wieder davon, dass man auf jeden Fall mit Tino Vogel als Cheftrainer in die neue Saison gehen würde und dass es ja – salopp gesagt – Quatsch wäre, ein erfolgreich arbeitendes Trainerteam zu entlassen. Diese Entscheidung der Red-Bull-Chefetage, den Trainer zu entlassen, muss Joachim Krug vorgekommen sein als wäre er im falschen Film, weswegen er sie eventuell nicht mehr mittragen wollte. Dazu kommt die augenscheinliche Uneinigkeit in Bezug auf Sebastian Hauck, dem Tino Vogel vor ein paar Wochen noch einen neuen Vertrag für die Regionalliga versprach (was er ohne Unterstützung von Krug niemals hätte machen können) und der dann letztlich doch mit Ablauf der Saison in die Wüste geschickt wurde. Dies könnte auch ein Verweis auf Dissonanzen in der Kaderplanung zwischen dem Duo Krug/ Vogel und Beiersdorfer sein; ein weiterer möglicher Baustein beim Zerwürfnis zwischen Krug und Beiersdorfer.

Für beide Personalentscheidungen gilt, dass sie sicher nicht gut für das Image von Red Bull, Beiersdorfer und RasenBallsport (eiskalt, abgebrüht), aber trotzdem absolut nachvollziehbar und begründet sind. Man könnte es auch professionell nennen. Der Verein RasenBallsport Leipzig muss wegen seines schnellen sportlichen Wachstums in kurzer Zeit Entscheidungen treffen, für die andere Vereine Jahre Zeit haben, zumal alles immer unter dem Druck geschieht, möglichst keine groben Fehlentscheidungen zu treffen. Da fallen persönliche Befindlichkeiten schnell mal hinten runter und Zeit für große Sentimentalität ist bei solchen Entscheidungen auch nicht eingeplant, wie nicht zuletzt die Entlassung Vogels an seinem Geburtstag beweist. Den Fans – und einigen von diesen sind vor allem Tino Vogel aber auch Joachim Krug durchaus ans Herz gewachsen – haben jedoch Zeit für Sentimentalitäten und sollten sie auch ausleben, zumal sie damit den beiden Entlassenen das zurückgeben können, was ihnen zusteht: Respekt und Dankbarkeit für eine sehr gute, sportliche Saison. In diesem Sinne lieber Tino Vogel und lieber Joachim Krug sage ich es mit Douglas Adams: Macht’s gut und danke für den Fisch.

5 Gedanken zu „Stühlerücken“

  1. Sehr gut geschrieben! Ohne Schmus und ohne die menschlichen Dinge dahinter zu verschweigen! So ist das Geschäft! Hart, teilweise ungerecht und völlig unpersönlich! Dass man das nicht schön finden muss ist klar. Aber man muss sich damit abfinden!

  2. Die Entlassung ist menschlich unterste Kanone! Über die spielschwache und zu statische RB-Offensive zu lamentieren, darüber, dass Vogel keine Drittliga-Lizenz hat und vielleicht in der Mannschaft nicht den richtigen Rückhalt, ist eine sehr technokratische Sichtweise.

    In dieser Art einen Trainer abzuservieren ist moralisch einfach nicht vertretbar. Im MDR sagt Vogel, dass er von seiner Entlassung tatsächlich erst am Sonntag erfahren hat. An seinem Geburtstag!

    Sicher, auch Achim Steffens wurde vor Jahren nach einer erfolgreichen Saison beim VfB Leipzig an seinem Geburtstag rausgeschmissen. Und sicher: RB steht unter einem Erfolgsdruck wie andere Vereine vielleicht nicht. Was ist denn das aber bitte für eine Mitarbeiterpolitik? Auf jedem Führungsseminar lernen Manager, anders mit ihren Mitarbeitern umzugehen. Es gehört zu den Basics der Arbeitspsychologie, dass man Frustration und Angst (die ja bekanntlich Kreativität und Offenheit hemmt) in der Firma durch Transparenz in innerbetrieblichen Entscheidungen vermeiden kann.

    Sportlich kann ich die Trennung von Vogel ja irgendwie nachvollziehen, über die Art und Weise kann ich nur kotzen!

  3. @Klaus: ich sehe das, was die Arbeitspsychologie angeht, ähnlich. Die fehlende Tranzparenz begründet sich vielleicht auch durch Beiersdorfers Salzburger Arbeitsplatz. Es fehlt in Leipzig ein Bindeglied (ein anwesender Präsident), der sich im Tagesgeschäft mit den Vereinsangestellten entwickelt und sie – wenn nötig – kritisiert (also mit ihnen alltäglich kommuniziert), sodass alle Beteiligten wissen, woran sie sind. So lernt man dann tatsächlich ZUSAMMEN, was passt und was nicht und trennt sich nicht so unvermittelt wie in diesem Fall. Deswegen wird die ‘technokratische Sichtweise’ aber nicht überflüssig, sie ist für den Red-Bull-Fußballchef eine simple Notwendigkeit, wenn er Entscheidungen treffen will. Schließlich ist er letztendlich der Hauptverantwortliche für eventuellen Misserfolg. Ich würde der ganzen Sache nur nicht unbedingt so große Begriffe wie Moral (bzw. Unmoral) beimengen wollen. Letztlich geht es – bei aller Kritik an der Art und Weise oder am Zeitpunkt – dann eben doch ‘nur’ um die Beurlaubung bzw. Versetzung eines verantwortlichen Mitarbeiters.

  4. Beiersdorfer hat ja selber im vergangenen Jahr am eigenen Leib in Hamburg die Härte des Business erfahren. Der HSV hat damals keine Sympathien geerntet. Beiersdorf hatte bei einem großen Teil der Anhänger einen Stein im Herzen. Er selber war als Spieler noch beim letzten Titel des HSV (DFB-Pokalsieg gegen Stuttgarter Kickers 1987) dabei.

    Die jetzige Aktion mit Tino Vogel ist auch nicht gefährdet eine Sympathiewelle zu erleben. Die oberste Priorität hat der geplante sportliche Erfolg (sprich Etablierung von RB Leipzig im Profifußball), abwarten, zögern oder zu intensives menscheln sind da eher kontraproduktiv. Es geht bei solchen Beurlaubungen, Entlassungen etc immer um die Art und Weise. Ich hab es in Nürnberg bei Hans Meyer erlebt. Im Sommer 2007 holt er den DFB-Pokal. Alle rücken an um ihm seine Sympathien rüberzubringen. Von den Fans, Präsidenten, Manager, Journalisten, Oberbürgermeister bis zum damaligen Ministerpräsidenten Bayerns, Stoiber. Alle wollten sich sonnen im Lichte des Triumphes. Ein gutes halbes Jahr später wurde er in ziemlich amateurhafter und indiskutabler Art und Weise entlassen. Später sahen sich die Beteiligten gar wegen ausstehender Gelder noch beim Arbeitsgericht. Da ist viel Porzellan kaputt gegangen.

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